Kissy würde am 18.5.2022 16 Jahre alt.
Und sie würde dies bei erstaunlicher Gesundheit für dieses Alter. Sie geht gerne raus, schnüffelt ausgiebigst.
Nun ja, die Zeit ist nicht spurlos an ihr vorrüber gegangen - Arthrose, Lipome, sie sieht sehr schlecht und hören tut sie auch praktisch nichts mehr.
Die Hinterfüsse tun sich schwerer beim Laufen, sie schleifen, aber wozu gibt es Schuhe.
Soweit alles im Rahmen. Beste Vorraussetzungen, noch älter zu werden.
Sie begann vor einigen Monaten, unruhiger zu werden. Das kennen viele Halter alter Hunde.
Diese Unruhe wurde zu einem Tigern, wie ein Panther im Käfig. Decke - Flur - Küche - Flur - Decke. Das gleichmässige Geräusch ihrer Krallen auf Parkett und Fliesen. Locker mal eine Stunde, manchmal länger.
Und auch nachts. Da verläuft sie sich auch immer wieder, muss aus Ecken, hinter Türen hervorgeholt werden. Der Rückwärtsgang funktioniert nicht mehr und irgendwann fällt sie sonst einfach um und kommt nicht mehr hoch.
Nun, auch das lässt sich managen, schlafe ich halt teilweise auf dem Sofa. Auch um frühzeitig das einzusammeln, was sie auf ihren Touren oft verliert und was sich sonst im ganzen Erdgeschoss verteilt und antrocknet. Der Teppich ist aufgerollt. Zum besseren Halt auf dem Parkett hat sie Antirutschsocken an.
Die Tierärztin befragt, was dieses unruhige Laufen soll, der Hund hechelt dann auch stark, vielleicht Schmerzen - sie bekommt ja schon Schmerzmittel. Kein Hund soll im Alter Schmerzen haben, wenn es sich verhindern lässt. Auch hohe Dosen würde ich geben, ein Hundeleben ist nicht so lang, dass die Nebenwirkungen wirklich eine Rolle spielen, wenn der Hund schon ein hohes Alter hat.
Drangwandern sagt sie. Kommt durch die Altersdemenz. Wir können es mal mit einem Mittel gegen die Demenz versuchen.
Den Begriff hatte ich nie gehört. Effie wurde auch so alt, schlief aber fast immer, wenn sie nicht gerade nachts versuchte, Essbares zu ergattern.
Nun.
Die Wanderei wurde nicht besser.
Im Gegenteil.
Stundenlang. Bis zur Erschöpfung.
Die Wege wurden langsam kürzer, momentan dreht sie sich nur noch im Wohnzimmer im Kreis, mal enger, mal weiter.
Was hilft dagegen?
Festbinden und Raum beschränken geht nicht. Da wird sie renitent.
Aber Spazierengehen z.B.. Viel schnüffeln lassen. Auf ebenen Wegen, ohne Hindernisse, an der Leine. Gemütlich. Manchmal verfällt sie dann doch noch in einen leichten Trab, wenn sie unbedingt wohin will. Passanten und alte Bekannten staunen über den fitten Hund, auch wenn die Hinterbeine immer weniger gut funktionieren.
Zuhause legt sie sich schlafen, schnarcht. Man atmet auf.
Doch dann geht es wieder los, das Wandern, heftigst hechelnd, die Ruhe war nur kurz.
Man kann sie aufhalten, streicheln, durchkraulen. Besonders von meinem Mann hat sie das gerne. Es hält sie für kurze Zeit mal an einem Ort.
Mich meidet sie eher, ich bin die Lästige, ziehe Schuhe an, mache Augen sauber. Wasche Kotreste aus dem Fell, wenn sie beim Lösen umfällt und in ihrer Eigenproduktion landet. So mache ich mich nicht mehr beliebt.
Ich versuche, mit Unmengen Leckereien ihr viele Sachen zu versüssen, sie ist eh zu dünn. Aber sie bekommt durch das schlechte Sehen nicht mehr alles mit, hat Angst um ihr Futter, wenn ich ihr an den Hinterfüssen fummle und ich trage eine deutliche Schramme davon.
Durch Kauknochen kann man sie auch kurzzeitig vom Wandern abhalten. Sie ist beschäftigt und immer hungrig. Nach einer halben Stunde Kauen schläft sie eine Runde. Spätestens nach einer weiteren halben Stunde wacht sie aber auf, hat Durst und weiter geht das Wandern.
Nach Tagen, an denen der Drang zu wandern besonders schlimm war, ist der nächste Tag meist ruhiger. Hund schläft länger, auch in der Nacht. Man denkt, das geht doch. Alles kann gut sein!
Dann kam der Tag, an dem sie morgens um 9 Uhr anfing zu wandern, nach dem Morgengang. Es gab was zu Kauen. Nützte nix. Einen weiteren Spaziergang. Nützte nix. Es gab Mittagessen schon um 12, ein voller Magen sollte eigentlich nach Ruhe verlangen. Ja, eine Stunde. Dann Wandern den ganzen Nachmittag hindurch. Spaziergang. Kauen. Streicheln. Der Hund war nicht zu stoppen. Bis sie völlig fertig auf dem Parkett landete, alle Viere von sich gestreckt. Ich springe auf, will ihr wieder hoch helfen. Sie rastet aus. Sie war völlig fertig, hat sich vermutlich weh getan, konnte nicht einordnen, dass man ihr nur helfen wollte. Sie hätte mich gebissen. Sie ackerte, um hochzukommen und ihre Füsse unter Kontrolle zu kriegen. Bekam kaum Luft.
Erst nach einer Weile habe ich sie am Halsband hochgezogen und wieder auf die Füsse stellen können.
Da waren wir beide fertig mit der Welt.
Das muss und soll der Hund nicht mitmachen müssen.
Die Ärztin meinte, wir setzen dem ein Ende. Es ist unnötige Quälerei.
Aber sofort konnte ich das nicht.
So händeln wir es noch dieses Wochenende, so gut es geht. Mit möglichst viel Positivem für den Hund.
Alle kommen, um sich zu verabschieden.
Scheiss Drangwandern.
Das braucht wirklich niemand.
Einen Hund einzuschläfern, der körperlich eigentlich noch nicht soweit ist, dass man sagt, seine Zeit ist gekommen, der läuft, schnüffelt, frisst.....
Aber sie quält sich und wir quälen uns auch.
Ich habe das jetzt hier geschrieben, weil kaum jemand dieses Phänomen Drangwandern bei alten Hunden kennt. Selbst wenn sie sehr alt geworden sind.
Es ist natürlich unsere sehr persönliche Geschichte. Ich habe bisher nur von einem alten Hund gehört, bei dem es sehr ähnlich war.
Die meisten Hunde haben im Alter andere Beschwerden, die es nahelegen, das Leben aktiv zu beenden. Kaum ein Hund stirbt im Schlaf oder fällt tot um.
Und man wird sich immer schuldig fühlen. Wie bei den beiden anderen davor.